Heute finde ich es cool, anders zu sein
- My.EpiCoach • 5. November 2019
Heute finde ich es cool, anders zu sein
- My.EpiCoach • 5. November 2019
Die 20-jährige Mia Andersson hat nächtliche Epilepsieanfälle, seit sie acht Jahre alt ist. Ihre Eltern haben mit ihr immer sehr offen und ehrlich über die Krankheit gesprochen und sie nicht in Watte gepackt. Dafür ist die junge Frau heute sehr dankbar.
„Die Krankheit hat mich stärker gemacht“, sagt Mia Andersson. Wütend oder hässig wird sie zwar ab und zu noch, vor allem, nachdem sie einen Anfall hatte, aber die junge Frau hat ihre Krankheit voll und ganz akzeptiert. „Die Epilepsie ist ein Teil von mir.“ Ihren ersten epileptischen Anfall hatte Mia Andersson, als sie acht Jahre alt war. Selber daran erinnern kann sie sich nicht gut. Sie war damals bei ihren Grosseltern, konnte plötzlich ihren Körper nicht mehr kontrollieren, fiel zu Boden und wurde ins Spital gebracht. So hat man es ihr erzählt. „Ich wusste zwar nicht genau, was mit mir passierte, aber ich habe schon wahrgenommen, dass etwas nicht stimmte“, erinnert sie sich vage.
“Ich wusste zwar nicht genau, was mit mir passierte, aber ich habe schon wahrgenommen, dass etwas nicht stimmte.”

Ihre Eltern waren von Anfang an offen und ehrlich mit ihrer Tochter. „Sie haben mich nie in Watte gepackt. Dafür bin ich sehr dankbar, denn das hat mich gestärkt.“ Vier oder fünf verschiedene Medikamente musste das Mädchen ausprobieren, bis man das richtige für sie fand. Die Medikamente machten sie sehr müde, sie konnte sich nicht mehr gut konzentrieren. „Meine Noten gingen bachab“, erzählt sie.
Natürlich musste sie etwas mehr aufpassen als andere Kinder, trotzdem durfte sie alles machen, was sie wollte: schwimmen, Ballett tanzen und später Hip-Hop. Auch als sie ein Teenager wurde, durfte sie ausgehen und alles unternehmen, was Gleichaltrige durften. Die Anfälle – heute hat sie im Schnitt zwei im Monat – finden immer in der Nacht statt. „Meine Muskeln ziehen sich zusammen, mein Herzschlag wird schneller“, beschreibt die 20-Jährige. Angst habe sie in diesem Moment keine. Sie wisse ja, dass ihr nichts passieren könne. Wut hingegen komme manchmal hoch, doch die verfliege bald wieder.
Heute kann Mia Andersson gut mit ihren Anfällen umgehen. Sie hat eine Aura, hat oft schon ein paar Tage vor dem Anfall eine Vorahnung. Wie genau das geht, kann sie nicht beschreiben. „Ich versuche dann, positiv zu bleiben und gut auf mich zu achten.“ Wenn sie einen Anfall hat oder kurz davor, muss sie so schnell wie möglich Valium nehmen. „Dann bin ich weg, meine Muskeln entspannen sich wieder.“ Aber das starke Medikament macht sie sehr müde und erschöpft. Nach einem Anfall hat sie meistens für zwei bis drei Tage mit Nachwirkungen zu kämpfen, ihr ist oft schlecht, schwindelig, sie hat Kopf- und Bauchweh. Das macht ihr etwas Sorgen für die Zukunft.
„Ich hoffe, dass ich einen toleranten Arbeitgeber finde, der Verständnis für diese Situationen hat“, sagt die junge Frau. Bis im vergangenen Sommer absolvierte sie nach ihrem Maturaabschluss ein kaufmännisches Praktikum in der IT-Branche. In Richtung Informatik/Web-Design möchte sie sich auch weiterbilden. Zurzeit ist sie auf der Suche nach einer Stelle.
“Ich hoffe, dass ich einen toleranten Arbeitgeber finde, der Verständnis für diese Situationen hat.”

Mia Andersson ist ehrgeizig. Dieser Ehrgeiz kam ihr auch in der Primarschule zugute. „Meine Lehrer sagten, es wäre besser, ich ginge in die Realschule“, erinnert sie sich. Doch Mia wollte unbedingt in die Sekundarschule. Mit Unterstützung der Eltern erreichte sie das Ziel und „ich wurde sogar eine der besten Sekschülerinnen“, sagt sie und grinst.
Selbständig zu sein, hat sie früh von ihren Eltern mit auf den Weg bekommen. „Ich weiss, dass meine Familie da ist, wenn ich sie brauche, aber eigentlich möchte ich es alleine schaffen. Wenn ich mal ausziehe, muss ich ja auch alleine durchs Leben kommen.“
“Ich weiss, dass meine Familie da ist, wenn ich sie brauche, aber eigentlich möchte ich es alleine schaffen.”

Nach der Sekundarschule fühlte sich Mia Andersson noch nicht bereit für die Berufswelt und absolvierte die Wirtschaftsmittelschule an der Kantonsschule Zug. Drei Jahre Schule, ein Jahr Praktikum. Grosse Einschränkungen hatte Mia Andersson in ihrer Kindheit und Schulzeit durch ihre Krankheit nicht. „Einzig in die Lager musste jeweils jemand von meinen Eltern mitkommen“, erzählt sie. Das sei manchmal schon etwas unangenehm gewesen. Ausgelacht oder fertiggemacht wurde sie nie von den Mitschülern. „Als ich kleiner war, war ich schon ab und zu traurig, weil ich das Gefühl hatte, komisch zu sein. Aber heute finde ich es cool, anders zu sein.“ Mia Andersson braucht mehr Schlaf als andere in ihrem Alter. „Aber ich schränke mich nicht ein.“
Die junge Frau ist sehr zufrieden mit ihrem Leben, die Krankheit gehört zu ihr. Ein grosses Hobby von ihr ist K‑Pop, koreanische Popmusik. Dazu tanzt sie, zusammen mit einer Gruppe. In näherer Zukunft möchte sie versuchen, ohne Medikamente zu leben. „Angst vor der Zukunft habe ich nicht. Ich lasse es auf mich zukommen“, sagt die aufgestellte und stets optimistische junge Frau. Mia Andersson möchte anderen Kindern und Jugendlichen, die unter der gleichen Krankheit leiden, Mut machen. „Man muss sich nicht schämen, anders zu sein.“