Trotz meiner Krankheit habe ich ein schönes Leben
Trotz meiner Krankheit habe ich ein schönes Leben
Peter S. leidet seit seiner Jugend an Epilepsie. Zwar hatte er schon seit vielen Jahren keinen Anfall mehr, trotzdem beeinträchtigt ihn die Krankheit. Vor allem mit einer Begleiterscheinung, die immer stärker wird, hat er zu kämpfen: seiner Persönlichkeitsveränderung.
Seinen ersten Anfall hatte er, als er gerade mal 12 Jahre alt war. Er sass am Tisch und erledigte seine Hausaufgaben. „Aus heiterem Himmel wurde es mir schwarz vor Augen“, erzählt Peter Schlittler. Er verlor das Bewusstsein, an mehr kann er sich nicht erinnern. Seine Eltern erzählten ihm, dass er nur kurz nicht ansprechbar war. Langsam erwachte er aus dem „Dämmerschlaf“, wie er ihn beschreibt.
Im Kinderspital wurden verschiedene Abklärungen getroffen, die Ärzte fanden heraus, dass der Junge einen epileptischen Anfall erlitten hatte. „Wir haben gehofft, dass es bei dem einen Anfall bleibt“, so Peter Schlittler.
Doch die Hoffnung wurde enttäuscht. Immer wieder hatte er Anfälle, zum Teil schwere. Der Junge merkte, wenn sich ein Anfall anschlich. „Ich hatte zu Beginn linksseitig zunehmend kein Gefühl mehr im Arm und Bein und spürte eine starke Unruhe. Die Angst, umzufallen, war gross.“ Obwohl er die Medikamente regelmässig einnahm, erlitt Peter Schlittler immer wieder Anfälle. Die Primarschule konnte er trotz seiner Krankheit im üblichen Rahmen abschliessen. Auch die Realschule schaffte er, am Limit und mit grosser Unterstützung von Lehrern und Eltern. Die Medikamente beeinflussten ihn.
“Ich konnte mich weniger gut konzentrieren, war langsamer. Die Schule war überhaupt nicht einfach.”

Der Jugendliche konnte gut mit seiner Krankheit umgehen. Erst als das Berufsleben näher rückte, nahm er sie so richtig wahr. Seine Eltern machten sich grosse Sorgen um ihren Sohn.
„Sie hatten grosse Angst um mich, wie es mit mir weiter geht, wie mein Denkvermögen sich entwickeln würde“, erinnert sich der heute 59-Jährige. Trotz allem versuchten die Eltern und auch Grosseltern, dem jungen Peter Schlittler möglichst viel Normalität zu geben.
Der junge Mann wollte Schreiner werden, sein Traumberuf. Doch ein Arbeitsjahr im Handwerk, parallel mit Schulstunden, bestätigte, dass er die Anforderungen für den Schreinerberuf, schulisch wie handwerklich, nicht erfüllen konnte. „Das war eine grosse Enttäuschung, da wurde mir bewusst, dass ich wegen der Epilepsie nicht alles machen kann, was ich mir gewünscht und vorgestellt hatte.“ Trotzdem gab er nicht auf und machte eine Ausbildung zum Pflegeassistenten.
Die Suche nach dieser Ausbildungsstelle erforderte sehr viel von ihm, wie auch die Ausbildung selber. Nach der Erstausbildung zum Pflegeassistenten wurde er trotz des bekannten Handicaps vom Militär aufgeboten. Er absolvierte erfolgreich die Rekrutenschule zum Sanitätssoldaten. „Eine für mich härtere körperliche Zeit habe ich bis heute nicht in Erinnerung. Ich habe es trotzdem geschafft, mit aller Härte, die das damalige Militärleben bot“, erzählt er.
Mittlerweile hatte er bei einer Epilepsie-Studie mitgemacht und die neu getesteten Medikamente halfen ihm. Zu Beginn war er zwar schneller müde und teilweise liess die Konzentration nach, aber Anfälle hatte er seither nicht mehr. Die starke Nebenwirkung der Müdigkeit legte sich im Laufe der längeren Einnahme.
“Das war eine grosse Enttäuschung, da wurde mir bewusst, dass ich wegen der Epilepsie nicht alles machen kann, was ich mir gewünscht und vorgestellt hatte.”

Während einer weiteren Ausbildung zum Langzeitpfleger lernte er seine Frau kennen. Sie war und ist ihm immer noch eine grosse Stütze. „Sie hat mir Mut gemacht und die Angst genommen. Sie hat gesagt, dass ich trotz meiner Krankheit ein normales Leben führen kann“, erinnert sich Peter Schlittler. Heute sind die beiden 33 Jahre verheiratet und Eltern zwei erwachsener Söhne.
Viele Jahre arbeitete Peter Schlittler in der Pflege und konnte ein dem entsprechend angepasstes Leben mit seiner Familie führen. „Trotz meiner Krankheit habe ich ein schönes Leben“, sagt er. Doch so einfach, wie es klingt, ist es nicht immer. Es gibt gute Tage, aber auch genau das Gegenteil.
Einen schwierigen Moment erlebte Peter Schlittler vor elf Jahren. „Der Anspruch in meinem Job wurde immer höher, ich konnte ihn nicht mehr erfüllen.“ Das war hart.
Er musste lernen, es zu akzeptieren. Zuerst senkte er sein Arbeitspensum auf 80 Prozent, dann waren es 50, am Schluss noch 30.
2007 musste er sich dem Entscheid des Arbeitgebers beugen und wurde Frührentner. „Es war schwierig, die Arbeit aufzugeben, aber es war einfach nicht mehr möglich“, erinnert er sich. Sein Gesicht wirkt traurig. Noch heute macht ihm das zu schaffen.
“Sie hat mir Mut gemacht und die Angst genommen. Sie hat gesagt, dass ich trotz meiner Krankheit ein normales Leben führen kann.”

Doch vor allem zu kämpfen hat er seit einigen Jahren mit seiner immer leicht zunehmenden Persönlichkeitsveränderung. Ob dies durch die Medikamente geschieht oder zum Krankheitsverlauf gehört, ist nicht feststellbar.
„Manchmal bin ich eher gleichgültig und abwesend, manchmal teilnahmslos. Meine Denkkraft und Konzentration ist nicht mehr gleich gut wie vor einigen Jahren. Teils feinere Arbeiten kann ich nicht mehr gleich gut machen, meine Feinmotorik hat nachgegeben.“ Immer seltener geht er unter Menschen. Das ist schwer. Nicht nur für ihn, sondern auch für seine Familie und sein Umfeld.
Seine grosse Angst ist, dass er während eines allfälligen Anfalls erstickt, falls er aus irgendeinem Grund seine Medikamente nicht nehmen könnte. Zudem macht er sich Sorgen, wie seine Zukunft aussieht. „Wird die Krankheit noch schlimmer, was, wenn ich irgendwann keine Gefühle mehr für meine Liebsten haben kann?“, sind Fragen, die ihn beschäftigen und zuzeiten auch stark bedrücken. Unterstützung und Verständnis erfährt er von seiner Familie. „Ohne meine Frau und meine Söhne wäre ich heute nicht hier“, ist er sich sicher.
“Ohne meine Frau und meine Söhne wäre ich heute nicht hier.”

Wenn Peter S. einen guten Tag hat, geht er seinem Hobby, seiner Leidenschaft nach: der Holzverarbeitung.
In seiner Werkstatt in der Nähe seiner Wohnung fertigt er Kunsthandwerke und Gebrauchsgegenstände aus Holz. Er habe schon immer gerne handwerklich gearbeitet. Mit diesem Hobby kann er sich seinen Traumberuf des Schreiners doch noch ein Stück weit erfüllen. „Es ist gut, eine Aufgabe zu haben. Die Arbeit mit dem Holz hilft, die Konzentration und die Feinmotorik zu stärken“, sagt der 59-Jährige.
Durch Epi-Suisse hat Peter S. gelernt, dass auch Menschen mit körperlichen sowie emotionalen, zum Teil starken Veränderungen akzeptiert werden, so wie sie sind. Dies helfe ihm enorm. Jedes Jahr besucht er den Betroffenentag von Epi-Suisse. „Dadurch kann ich mit anderen Betroffenen, Fachpersonen und den Mitarbeitenden von Epi Suisse in Kontakt treten, das schätze ich“, sagt er.
Auch ist er ab und zu an anderen Anlässen von Epi-Suisse anzutreffen.