Zwischen Pausenapfel und Leuchtbändel

  • My.EpiCoach • 16. Januar 2017

Zwischen Pausenapfel und Leuchtbändel

  • My.EpiCoach • 16. Januar 2017

Die Kinder sitzen im Kreis auf kleinen Bänken, die Kinder­gärt­nerin stellt der Gruppe ein neues Lied vor. Mitten­drin ist die vier­jäh­rige Flora, die blonden Locken zu einem Pfer­de­schwanz zusam­men­ge­bunden. Ein aufge­wecktes und fröh­li­ches Mädchen. Dass sie Epilepsie hat, merkt von Aussen niemand.

Der erste Anfall geschah kurz vor Floras drittem Geburtstag. Es passierte während dem Mittags­schlaf in der Kinder­ta­ges­stätte. Auch der zweite und der dritte Anfall passierten jeweils in der Krippe immer während der Mittagspause.

Erst den vierten Anfall haben die Eltern miter­lebt, als sie im Sommer in den Ferien waren und Flora im Auto schlief. Die Mutter erinnert sich noch genau an dieses einschnei­dende Ereignis:

Flora hatte einen starren Blick nach rechts oben und starre, unbe­wegte Extre­mi­täten. Wir haben sie nur schwer aus dem Autositz bekommen. Mein Mann verab­reichte ihr sofort das Notfall­me­di­ka­ment.
Nach ein paar Minuten kam sie langsam wieder zu sich. Wir wussten ja, dass sie epilep­ti­sche Anfälle hat. Aber als wir es das erste Mal selbst erlebten, waren wir sehr geschockt.”

Zu dieser Zeit besuchte Flora an drei Tagen die Woche eine Kinder­ta­ges­stätte. «Wir hatten sehr grosses Glück. Die dama­ligen Betreu­er­innen in der Kita haben sich sofort auf die neue Situa­tion einge­stellt. Wir haben sie genau instru­iert, wie sie bei einem Anfall reagieren müssen, und gaben das Reser­ve­me­di­ka­ment ab.

Beim zweiten und dritten Anfall wurden die Instruk­tionen genau­es­tens befolgt, und so verliefen die Anfälle ohne Zwischen­fälle. Es war für uns ein sehr gutes Gefühl, zu wissen, dass Flora in der Kita so gut umsorgt wird», erzählt die Mutter. Für die Familie und auch für ihre Freunde hat Floras Anfalls­leiden nie ein Problem darge­stellt. Flora spielt bei Nach­bars­kin­dern oder über­nachtet bei ihren Freundinnen.

Wie die Betreu­er­innen der Kita wurden auch die betei­ligten Eltern einge­hend instru­iert. Frau Fischer schätzt die grosse Offen­heit in ihrem Umfeld: «Bis jetzt gab es niemanden im Freun­des­kreis, der Bedenken oder Ängste uns gegen­über geäus­sert hat. Wir wissen, dass das nicht selbst­ver­ständ­lich ist.»

Flora auf dem Weg

Nach den Sommer­fe­rien stand der Über­tritt in den städt­ischen Kinder­garten bevor. «Auf Grund der guten Erfah­rungen in der Kita haben wir uns im Vorfeld gar nicht so viele Sorgen gemacht. Die einzige Sorge bestand für uns beim Weg zum Kinder­garten respek­tive zum Hort, den Flora irgend­wann allein gehen sollte», erzählt die Mutter und ergänzt: «Spätes­tens als wir einen Anruf von der Schul­ärztin bekamen und sie uns zur Erkran­kung unserer Tochter befragte, wurde uns das erste Mal bewusst, dass Floras Einschu­lung mit beson­deren Mass­nahmen, aber vor allem mit Unsi­cher­heiten und Ängsten verbunden ist.» Zum dama­ligen Zeit­punkt gab es im Schul­haus kein Kind mit Epilepsie.

An diese Ängste erinnert sich auch die Kinder­gärt­nerin: «Meine Angst war in erster Linie, nicht zu wissen, wie ich bei einem Anfall reagieren muss. Ich hatte anfangs viele Fragen: Kann ich etwas falsch machen? Wie reagieren die anderen Kinder, wenn Flora einen Anfall hat? Muss ich sie ständig im Auge behalten? Wie viel Mehr­auf­wand wird es sein? Muss ich in der Raum­ein­rich­tung etwas beachten?»

Anfäng­liche Bedenken hatte auch das Betreu­ungs­per­sonal im Hort. Infrage gestellt wurde, ob in der Betreuung jeder­zeit die nötige Aufsicht gewähr­leistet werden kann, um im Falle eines Anfalls schnell genug und richtig reagieren zu können. Das Szenario, dass ausge­rechnet in der Anfangs­zeit und während der Kennen­lern­phase aller Kinder ein schlimmer Anfall auftreten könnte, beun­ru­higte das Betreuungsteam.

Die Schul­lei­tung berief einige Wochen vor der Einschu­lung einen runden Tisch ein. Gemeinsam mit der Schul­ärztin infor­mierten die Eltern über Floras Epilepsie und gaben ihnen die Anwei­sungen für den Fall eines Anfalls. So konnten sich alle Fach­per­sonen im Schul­haus (Schul­lei­terin, Schul­ärztin, Kinder­gar­ten­lehr­person, Heil­päd­agogin, Leitung Betreuung und das Betreu­ungs­per­sonal) auf die Situa­tion einstellen und Unsi­cher­heiten anspre­chen. Das Schul­team und die Eltern sind sich einig: «Die grösste Hilfe war mit Sicher­heit die Infor­ma­tion und Aufklä­rung im Vorfeld. Das gab auch uns Eltern Sicherheit.

Flora geht seither jeden Tag mit Freude in den Kinder­garten und berichtet begeis­tert von ihren Erleb­nissen dort.» Die Kinder­gärt­nerin fügt an: «Durch das Gespräch konnte ich alle meine Fragen und Unsi­cher­heiten klären. Da erhielten wir alle nötigen Infor­ma­tionen, den Notfall­plan und die Medi­ka­mente und wussten danach, was auf uns zukommt. Von der Mutter habe ich zudem die Epi-Suisse-Broschüre ‹Kinder mit Epilepsie› bekommen und natür­lich habe ich auch selber ein wenig recher­chiert.»

Flora

Floras Einstieg in den Kinder­garten verlief sehr gut. Mitt­ler­weile hat sie sich gut einge­lebt und Vertrauen gefasst.

Die Kinder­gärt­nerin bestä­tigt:
«Der Eintritt in den Kinder­garten verlief bei Flora wie bei jedem anderen Kind. Sie war anfangs schüch­tern, hat viel beob­achtet und ist dann immer mehr aufge­taut. Ich denke nicht, dass wir bei Floras Einstieg irgend­etwas anders gemacht haben. Sicher­lich auch, weil Flora erst wenige Anfälle hatte und wenn, dann immer in der Aufwach­phase nach dem Mittags­schlaf. Für mich ist zudem klar geworden, dass wir viel­leicht gar nie in die Situa­tion eines Anfalls kommen. Aus diesem Grund habe ich Flora und die anderen Kinder auch nicht speziell darauf vorbe­reitet. Da Floras Epilepsie für mich bis anhin nicht ‹sichtbar› ist, vergesse ich sie auch oft ein wenig. Mit dem Notfall­plan fühle ich mich sicher.»

Die anfäng­li­chen Bedenken haben sich auch beim Betreu­ungs­per­sonal schnell verflüch­tigt.
«Es war für uns wichtig, uns über die Krank­heit zu infor­mieren und uns durch die Eltern genaue Instruk­tionen geben zu lassen. So beob­achten wir Flora ganz beson­ders gut im Ruheraum während der Mittags­pause. Da sie ausschliess­lich Anfälle in der Aufwach­phase hatte, schauen wir, dass sie nicht einschläft.», berichtet die Hort­lei­terin und empfiehlt: «Bei Unsi­cher­heiten nach­zu­fragen ist wichtig und hilft Ängste und Unsi­cher­heiten abzu­bauen.»

Dies unter­streicht auch Floras Mutter:

Eltern sollten früh­zeitig Kontakt mit den Lehr­per­sonen und Mitar­bei­tenden im Hort aufnehmen, um Notfall­pläne, Medi­ka­men­ten­gabe oder beson­dere Bedürf­nisse der Kinder zu bespre­chen.
Als Eltern eines epilep­sie­be­trof­fenen Kindes hat man Routine im Umgang mit den Anfällen und vergisst, dass viele Menschen noch nie Kontakt mit Epilepsie hatten und somit oft Bedenken, Berüh­rungs­ängste oder sogar falsche Vorstel­lungen von der Erkran­kung haben.
Wir Eltern können gemeinsam mit unseren Kindern helfen, diese Ängste abzubauen.”

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